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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 21.02.2006
Aktenzeichen: 2 L 34/04
Rechtsgebiete: VwGO, LSA-GO, GG
Vorschriften:
VwGO § 78 | |
VwGO § 79 I | |
LSA-GO § 77 VII | |
GG Art. 103 I |
2. Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich nicht schon dann als unzulässiges "Überraschungsurteil" dar, wenn die "Überraschung" (des Unterlegenen) darin gründet, dass das Gericht eine in einem Berichterstatterschreiben geäußerte vorläufige Einschätzung nicht aufrechterhalten und seinem Urteil als maßgeblich zugrunde gelegt hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 05.12.2001 - 4 B 82.01 - Juris).
3. Das Gericht ist gemäß § 88 VwGO nur an das erkennbare Klageziel gebunden, so wie sich dieses ihm im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aufgrund des gesamten Parteivorbringens darstellt.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS
Aktenz.: 2 L 34/04
Datum: 21.02.2006
Gründe:
Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. der Novellierung v. 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO -, diese in der jeweils gültigen Fassung, sowie auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO <Kosten> und auf §§ 14, 13 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), - GKG - i. V. m. Abschnitt II Nr. 7.5.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der zum Zeitpunkt der Antragstellung noch geltenden Fassung vom Januar 1996 (DVBl 1996, 605 ff.) <Streitwert>.
1. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.
Ohne Erfolg rügt die Beklagte, sie sei nicht passivlegitimiert, weil nicht sie, sondern die Verwaltungsgemeinschaft S. den Bescheid vom 26.04.2000 erlassen habe, mit dem das Vorkaufsrecht ausgeübt worden sei.
Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist die Klage gegen die Körperschaft zu richten, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat. Im konkreten Fall hat die Beklagte den die Ausübung des Vorkaufsrechts regelnden Verwaltungsakt erlassen. Gemäß § 77 Abs. 7 Satz 1 und 2 GO LSA nimmt die Verwaltungsgemeinschaft die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises und die ihr zur Erfüllung übertragenen Aufgaben des eigenen Wirkungskreises im eigenen Namen wahr; in den übrigen Fällen handelt sie im Namen und im Auftrag der Mitgliedsgemeinden. Im letzteren Fall "besorgt" sie die ihr nicht ausdrücklich übertragenen Aufgaben des eigenen Wirkungskreises, wickelt also nur die Entscheidung technisch ab, während die eigentliche Entscheidungskompetenz bei den Gemeindeorganen verbleibt (vgl. Urt. des Senats v. 24.02.2000 - A 2 S 208/98 -, VwRR MO 2000, 292: Verwaltungsgemeinschaft als "Schreibstube" der Gemeinde). Der Ausgangsbescheid vom 26.04.2000 enthielt zwar keinen Hinweis darauf, dass die Verwaltungsgemeinschaft S. nicht im eigenen Namen, sondern im Namen und im Auftrag der Beklagten handeln wollte. Es ist aber maßgeblich auf den Widerspruchsbescheid abzustellen, der einem Verwaltungsakt die maßgebliche Gestalt gibt (§ 79 Abs. 1 VwGO). Diese Wirkung kann dazu führen, dass ein Nichtverwaltungsakt durch einen Widerspruchsbescheid die Gestalt eines Verwaltungsakts erhält (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.06.1987 - 8 C 21.86 -, BVerwGE 78, 3) oder ein ursprünglich bestehender Verwaltungsakt durch eine Klarstellung im Widerspruchsbescheid seine Gestalt verliert (BVerwG, Beschl. v. 05.12.1983 - 8 B 52.83 - Buchholz 310 § 79 VwGO Nr. 19). Im Urteil vom 26.06.1987 hat das BVerwG dazu ausgeführt:
"Der Widerspruchsbescheid programmiert das weitere Verhalten des Betroffenen. Es wäre unbefriedigend, ja unerträglich, wenn der Betroffene, der durch den Widerspruchsbescheid zur Erhebung einer Anfechtungsklage veranlasst wird, mit dieser Klage - in Ermangelung eines Verwaltungsaktes - ohne weitere Prüfung abgewiesen werden und angesichts dessen die Kosten tragen müsste (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO). Der Empfänger eines Widerspruchsbescheides braucht, was die weitere Rechtsverfolgung anlangt, nicht "klüger" zu sein, als es die Widerspruchsbehörde ist; es kann nicht zu seinen Lasten gehen, wenn er sich so verhält, wie sich zu verhalten ihm der Widerspruchsbescheid - bei objektiver Würdigung - nahe gelegt hat."
Diese Erwägungen greifen auch, wenn die Widerspruchsbehörde den Ausgangsbescheid einer bestimmten Behörde zurechnet (vgl. VGH BW, Urt. v. 25.02.1988 - 2 S 2543/87 -, VBlBW 1988, 439), oder wenn - wie hier - die mit der Ausgangsbehörde identische Widerspruchsbehörde unzweifelhaft zu erkennen gibt, dass sie den Verwaltungsakt nicht im eigenen Namen, sondern im Namen einer anderen Behörde erlassen hat. So liegt es hier: Im Widerspruchsbescheid vom 02.08.2001, den die Verwaltungsgemeinschaft im Namen und im Auftrag der Beklagten erlassen hat, wird ausgeführt, der Widerspruchsbescheid ergehe auf den Widerspruch "zur Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Gemeinde K.". In der Begründung heißt es weiter, für das betreffende Objekt habe die Verwaltungsgemeinschaft "im Auftrag der Gemeinde K." das Vorkaufsrecht geltend gemacht.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob sie einen Gemeinderatsbeschluss über die Ausübung des Vorkaufsrechts gefasst hat und ob sie im Widerspruchsverfahren "beteiligt" war. Dies betrifft vielmehr das Innenverhältnis zwischen Verwaltungsgemeinschaft und Gemeinde(-organen), insbesondere die Frage, ob das Handeln der Verwaltungsgemeinschaft dem Willen der Gemeindeorgane entspricht, an deren Beschlüsse und Weisungen die Verwaltungsgemeinschaft gemäß § 77 Abs. 7 Satz 2 GO LSA gebunden ist. Maßgebend ist nach den dargelegten Grundsätzen allein, wie der Empfänger den Inhalt des Widerspruchsbescheids verstehen musste.
2. Auch die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor. Ein Verfahrensmangel im Sinne dieser Norm ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. zur Revisionszulassung: BVerwG, Beschl. v. 19.08.1997 - 7 B 261.97 -, NJW 1997, 3328, m. w. Nachw).
Zu Unrecht rügt die Klägerin zunächst, das Verwaltungsgericht habe eine "Überraschungsentscheidung" getroffen und damit das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es (im Ergebnis) anders entschieden habe als es die in der Verfügung vom 19.11.2003 geäußerte und in der mündlichen Verhandlung nicht mehr in Zweifel gezogene (vorläufige) Rechtsauffassung der Berichterstatterin zur Frage des Handelns der Verwaltungsgemeinschaft habe erwarten lassen. Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich nur dann als unzulässiges "Überraschungsurteil" dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher insbesondere der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.05.2001 - 4 B 81/00 -, Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34). Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn die das angefochtene Urteil tragende Erwägung weder im gerichtlichen Verfahren noch im früheren Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erkennbar thematisiert worden war. Davon kann jedoch dann keine Rede sein, wenn die "Überraschung" (des Unterlegenen) darin gründet, dass das Gericht seine im Berichterstatterschreiben geäußerte vorläufige Einschätzung nicht aufrechterhalten und seinem Urteil als maßgeblich zugrunde gelegt hat; das Verbot, eine Überraschungsentscheidung zu erlassen, schützt keinen Beteiligten davor, dass sich ein Gericht auf der Grundlage weiterer Ermittlung des Sachverhalts und Erörterung der Rechtslage von einer vom Berichterstatter nur vorläufig gefassten Einschätzung löst und im Ergebnis zu Ungunsten eines Beteiligten entscheidet, der zuvor eine für ihn günstigere Entscheidung erhofft hatte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 05.12.2001 - 4 B 82.01 - Juris). Im Übrigen hat die Berichterstatterin in ihrem rechtlichen Hinweis lediglich ausgeführt, es sei zweifelhaft, ob überhaupt die Beklagte gehandelt habe. Soweit die Beklagte einwendet, das Verwaltungsgericht hätte die Klage sowohl nach der vorläufig geäußerten als auch nach der im Urteil zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung wegen fehlender Passivlegitimation abweisen müssen, weil es davon ausgegangen sei, dass die Verwaltungsgemeinschaft und nicht sie, die Beklagte, die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts getroffen habe, betrifft dies nicht die Frage der Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern die Schlüssigkeit der Urteilsgründe.
Das Verwaltungsgericht hat auch nicht verfahrensfehlerhaft über den Klagegegenstand hinaus entschieden, indem es die Beklagte verpflichtet hat, dem Kläger ein Zeugnis über das Nichtbestehen eines Vorkaufsrechts der Beklagten auszustellen. Gemäß § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Gebunden ist das Gericht nur an das erkennbare Klageziel, so wie sich dieses ihm im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aufgrund des gesamten Parteivorbringens darstellt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 88 RdNr. 3, m w. Nachw.). Der Entscheidungssatz im angefochtenen Urteil entspricht in vollem Umfang dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Klägers. Dieser wiederum entspricht seinem erkennbaren Begehren, neben der Aufhebung der Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts ein Negativzeugnis gemäß dem vom beauftragten Notar gestellten Antrag vom 07.04.2000 zu erhalten. Dieser Auslegung steht insbesondere nicht entgegen, dass der anwaltlich nicht vertretene Kläger ein solches Begehren in der Klagebegründung nicht ausdrücklich erwähnt hat, sondern sich (nur) mit der Rechtmäßigkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts befasst hat.
Ende der Entscheidung
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